Umfangreiche Vielfalt bei Hunden bereits Jahrtausende vor modernen Zuchtpraktiken

Staatssammlung für Paläoanatomie
München, 14.11.2025: Eine neue archäologische Studie hat ergeben, wann Hunde erstmals die bemerkenswerte Vielfalt zeigten, die sie heute auszeichnet. Durch modernste Formanalysen bei Hunderten archäologischen Funden aus mehreren Zehntausend Jahren konnten Forschende die Entstehung unterschiedlicher Hundetypen bis tief in die Vorgeschichte zurückverfolgen und den Zeitpunkt bestimmen, zu dem Hunde begannen, sich in Größe und Form zu diversifizieren – vor mindestens 11.000 Jahren. Die Arbeit wurde heute in der Fachzeitschrift „Science” veröffentlicht.

Die Ergebnisse stellen die langjährige Annahme in Frage, dass die Vielfalt der Hunde weitgehend ein neuzeitliches Phänomen ist, das durch gezielte Auslese und Zuchttierwahl seit den vermeintlichen Anfängen der Hundezucht in viktorianischen Kennel Clubs entstanden ist. Stattdessen zeigt die Studie, dass bereits vor Tausenden von Jahren, kurz nach ihrer Abspaltung von den Wölfen, erhebliche Unterschiede in der Schädelform und -größe bei domestizierten Hunden vorhanden waren.

Die heute in Science veröffentlichte Studie unter der Leitung der University of Exeter und des französischen CNRS ist sowohl hinsichtlich ihrer geografischen Reichweite als auch der untersuchten Zeitspanne die umfassendste ihrer Art, mit Exemplaren aus dem Pleistozän bis zur Gegenwart. Die 2012 begonnene Forschung analysierte 643 moderne und archäologische Schädel von Caniden – darunter bekannte Rassen, Straßenhunde und Wölfe – aus den letzten 50.000 Jahren. An der Studie beteiligt war auch SNSB-Archäozoologe Prof. Joris Peters von der Staatssammlung für Paläoanatomie sowie der LMU München. Auf der Grundlage von Forschungen, die in den letzten Jahrzehnten an der SPM durchgeführt wurden, konnte er eine Reihe gut erhaltener Hundeschädel aus der frühen und späten Jungsteinzeit für die geplante Studie zur Verfügung stellen und die Ergebnisse aus kulturhistorischer Perspektive diskutieren.

Das internationale Forschungsteam aus mehr als 40 Institutionen arbeitete zusammen, um 3D-Modelle der Schädel zu erstellen und deren Größe und Form mit einer Methode zu untersuchen, die als geometrische Morphometrie bekannt ist. Die Ergebnisse zeigen, dass Hunde bereits in der Mittelsteinzeit und der Jungsteinzeit eine große Bandbreite an Formen und Größen aufwiesen. Diese Vielfalt spiegelte wahrscheinlich ihre unterschiedlichen Rollen in frühen menschlichen Gesellschaften wider, vom Jagd- und Hütehund bis hin zum besten Freund des Menschen.

„Diese Ergebnisse unterstreichen die lange Geschichte unserer Beziehung zu Hunden“, sagte die Co-Autorin Dr. Carly Ameen vom Institut für Archäologie und Geschichte der Universität Exeter. „Die Vielfalt unter Hunden ist nicht nur ein Produkt viktorianischer Züchter, sondern vielmehr das Ergebnis einer jahrtausendelangen Koevolution mit menschlichen Gesellschaften.“

Das früheste Exemplar, das als Haushund identifiziert wurde, stammte aus der russischen mesolithischen Fundstätte Veretye (vor etwa 11.000 Jahren). Das Team identifizierte auch frühe Hunde aus Amerika (vor etwa 8.500 Jahren) und Asien (vor etwa 7.500 Jahren) mit domestizierten Schädelformen. Danach zeigt die Studie, dass relativ schnell eine große Vielfalt entstand.

Dr. Allowen Evin, Co-Autorin vom CNRS am Institut für Evolutionswissenschaften in Montpellier, Frankreich, erklärte: „Eine Verringerung der Schädelgröße bei Hunden ist erstmals vor 9.700 bis 8.700 Jahren feststellbar, während eine Zunahme der Größenvariabilität vor 7.700 Jahren auftritt. Eine größere Variabilität der Schädelform beginnt sich ab etwa 8.200 Jahren zu zeigen.“

Sie fügte hinzu: „Moderne Hunde weisen extremere Morphologien auf, wie beispielsweise kurzschnäuzige Bulldoggen und langschnäuzige Barsois, die in frühen archäologischen Exemplaren nicht vorkommen. Allerdings gab es bereits in der Jungsteinzeit eine große Vielfalt unter den Hunden; sie war doppelt so groß wie die der pleistozänen Exemplare und bereits halb so groß wie die der heutigen Hunde.“

Die Studie unterstreicht auch die Herausforderungen bei der Suche nach den frühesten Hunden. Keines der Exemplare aus dem späten Pleistozän – von denen einige zuvor als „Proto-Hunde“ bezeichnet wurden – wies Schädelformen auf, die mit einer Domestizierung vereinbar wären, was darauf hindeutet, dass die allerersten Phasen dieses Prozesses in den archäologischen Aufzeichnungen nach wie vor schwer zu erfassen sind.

Professor Greger Larson, leitender Autor der Studie von der Universität Oxford, sagte: „Die frühesten Phasen der Domestizierung von Hunden sind noch immer nicht sichtbar, und die ersten Hunde entziehen sich weiterhin unserer Kenntnis. Was wir jedoch nun mit Sicherheit sagen können, ist, dass sich Hunde nach ihrem Auftauchen schnell diversifizierten. Ihre frühen Variationen spiegeln sowohl natürliche ökologische Zwänge als auch den tiefgreifenden Einfluss des Zusammenlebens mit Menschen wider.“

Durch den Nachweis, dass die Vielfalt der Hunde Jahrtausende früher als angenommen entstand, eröffnet die Studie neue Wege für die Erforschung, wie kulturelle und ökologische Veränderungen des Menschen die Evolutionsgeschichte unserer engsten tierischen Begleiter geprägt haben.

Publikation
Allowen Evin et al. , The emergence and diversification of dog morphology. Science 390, 741-744 (2025). DOI:10.1126/science.adt0995

Wissenschaftlicher Kontakt
Prof. Dr. Joris Peters
SNSB – Staatssammlung für Paläoanatomie München
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