Tief in die Ohren geschaut: Neue Erkenntnisse zur Evolution der Hirsche

Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie

Ein Team bestehend aus internationalen Wissenschaftlern (Schweiz, Spanien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und China), darunter auch Gertrud Rößner von den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB), haben röntgentomographische Aufnahmen und 3D-Rekonstruktionen des Innenohrs von 17 heute lebenden und 12 fossilen Hirscharten angefertigt und quantitativ ausgewertet. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der wissenschaftlichen Zeitschrift Scientific Reports.

Hirsche (Geweih tragende Wiederkäuer, wissenschaftl. Cervidae) sind nicht nur Ikonen der abendländischen Kultur, sondern haben schon in vorgeschichtlicher Zeit und in anderen Weltregionen die Menschen stark geprägt. Seit vielen Jahrmillionen bilden sie einen wesentlichen Bestandteil der landlebenden Biomasse und umfassen so unterschiedliche Arten wie den riesigen holarktischen Elch (Alces), den südostasiatischen Muntjak (Muntiacus) und den winzigen süd-amerikanischen Pudu (Pudu). Die heutige Artenvielfalt der Hirsche ist mit über 55 Arten enorm für große Säugetiere und besiedelt fast alle terrestrischen Lebensräume. Von der Küste bis zum Hochgebirge und von den Tropen bis zum Polarkreis sind Hirsche in Eurasien, Nord- und Südamerika verbreitet. Dennoch, oder auch gerade wegen ihrer Diversität, sind viele Fragen noch offen, die internen verwandtschaftlichen Beziehungen, sowie Evolution und Ursprung innerhalb der Stirnwaffenträger (eine Untergruppe der Wiederkäuer, wissenschaftl. Pecora) betreffen.

Eine neue Studie über die Morphologie des Innenohres der Hirsche erlaubt bisher unbekannte Einblicke in diese Struktur. Das Innenohr oder knöcherne Labyrinth, ist ein komplexer Hohlraum bestehend aus Hörschnecke und Gleichgewichtsorgan im Inneren des Felsenbeins, einem kompakten knöchernen Bestandteil des Säugetierschädels. Es trägt artspezifische Merkmale, die als Indikator für stammesgeschichtliche Zusammenhänge gelten. Die Besonderheit der Forschungsarbeit liegt dabei in der Zusammenführung der vielen fossilen Innenohren, die nur sehr selten in relativ vollständigen Schädeln überliefert sind, so dass eine eindeutige Artzugehörigkeit bestimmt werden kann. Die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) konnte mit 6 fossilen Innenohren einen Beitrag leisten.

Auf diese Weise war es möglich, zum ersten Mal schon lange ausgestorbene Hirscharten gemeinsam mit noch lebenden phylogenetisch zu analysieren und mit Hilfe der molekularen Uhr zu datieren. Dabei wurde die Trennung zweier Hauptradiationen besonders deutlich: die ursprünglichen Hirsche mit langen oberen Eckzähnen und ungewöhnlich geformten Geweihen entfalteten sich vor 20 bis 17 Millionen Jahren; die modernen Hirsche spalteten sich vor ca. 15 Millionen Jahren ab und in die beiden heutigen Großgruppen der Altwelt- und Neuwelthirsche auf. Sie reduzierten die langen oberen Eckzähne und entwickelten die modernen Stangengeweihe. Damit lässt sich die Entstehung der modernen Hirsche auf bis zu 8 Millionen Jahre früher datieren als bisher angenommen. Übrigens: Die bisher älteste nachgewiesene moderne Hirschart, Euprox furcatus, war auch in Bayern heimisch.

Publikation:

B. Mennecart, D. DeMiguel, F. Bibi, G. E. Rössner, G. Métais, J. M. Neenan, Shiqi Wang, G. Schulz, B. Müller, L. Costeur. (2017) Bony labyrinth morphology clarifies the origin and evolution of deer. Scientific Reports 7: 13176 DOI:10.1038/s41598-017-12848-9

PD Dr. Gertrud Rößner
Konservatorin für fossile Säugetiere
Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG)
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